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Alte Gefahren mit neuen Medien
Strukturprobleme aufgrund veraenderlicher Software Die Risiken, die durch die Anwendung Integrierter Softwarepakete entstehen, und inwiefern die Macht der Gewohnheit von EDV-Benutzern nur allzuoft unterschaetzt wird, soll hier skizziert werden. Mitte der sechziger Jahre wurden die Gefahrenmomente in buerokratischen Strukturen sehr allgemein in dem Begriff "Verkrustung" zusammengefasst. Verkrustungen offenbaren sich ueberall dort, wo Veraenderungen im Bereich gesellschaftlicher Normvorstellungen mit der bestehenden Rechtsnorm zusammenprallen. Ein Beispiel fuer eine aufgehobene Verkrustung ist, wie sich die gesellschaftliche Normvorstellung ueber Unfallhergaenge im Strassenverkehr veraendert hat. Anfang der siebziger Jahre war ein "Rechts-vor-Links-Unfall" vor Gericht kaum einer Verhandlung wert. Die Schuld konnte nach Gesetzeslage nur im Nicht-Beachten der Vorfahrtsregelung gesehen werden. 5 Jahre spaeter war diese Regelung durch Einfuehrung des Mitverschuldungsprinzips dem realen Ablauf im Strassenverkehr angepasst worden. Im wirtschaftlichen Bereich koennen sich Strukturverkrustungen viel laenger halten, aber auch, gegebenenfalls, innerbetrieblich viel schneller abgebaut werden. Ein stabilisierter Betrieb wird einerseits das gefundene Optimum beizubehalten suchen, andererseits jede als durchfuehrbar erkannte Gewinnmaximierung verwirklichen wollen. Erst die prinzipielle Bereitschaft, jede Struktur in Frage zu stellen, ermoeglicht der zunehmenden Macht alteingessener Gewohnheiten die Stirn zu bieten. In diesem Spannungsfeld das notwendig Bleibende zugleich zu pflegen als auch zu hinterfragen erfordert Organisationsspezialisten. Ihnen sollte die Kommunikationsfaehigkeit mit den betroffenen "unteren Raengen" in Fleisch und Blut stecken. Andernfalls wird die Struktur an den Betroffenen, an deren Koennen und Wollen vorbei optimalisiert. Geschieht dies ohne Absicht, kommt es zu einer Gewinnmaximierung ohne Zukunftsaussicht. Manche Persoenlichkeiten weisen eine hoehere Akzeptanzrate in ihren beruflichen Brennpunkten auf als andere vergleichbare Menschen. Dies kommt weniger aus einer staerkeren Wesensverwandtschaft als denn aus dem Umstand: Gleiche Sprache, gleiches Verstaendnis. Ueberspitzt gesagt: dort, wo eine Kluft zwischen der Ausdrucksweise der Leitenden und Ausfuehrenden erkennbar ist, kann sich eine Verkrustung, eine Differenz zwischen Rechtslage und Normvorstellungen anbahnen. Nicht unbedingt Anteilnahme steckt hinter der Meinungsanalyse, denen Betroffene vorgesehener Rationalisierungsmassnahmen unterzogen werden. Zum Beispiel ist eine gewisse Fehlerbereitschaft im Umgang mit der EDV eine zwingende Notwendigkeit. Wir sind eben keine Maschinen. Und wir koennen selbstaendig aus Fehlern lernen. Angenommen, die Verwaltungskraft Meier-Schulte bringt in ihrem klassischen Arbeitsumfeld jene ausgewogene Fehlerbereitschaft mit, die kontinuierliches Arbeiten ermoeglicht. Offensichtlich empfindet Meier-Schulte die Einfuehrung einer EDV-Anlage als prinzipiell interessant. Meier-Schulte glaubt an die Phrase, dass Computer unfehlbar sind, weil Irren ja eine rein menschliche Eigenschaft sei. Schon mit diesem wenigen Wissen um Meier-Schulte duerfen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Meier-Schulte die Fehlerbereitschaft im Umgang mit Computern durch eine Fehlererwartung zu ersetzen geneigt ist. Halten wir hier das Fazit fest: wer Verkrustungen aufheben will, bekommt ohne Einsicht in die Normvorstellungen der Betroffenen kein Bein auf die Erde. Kehren wir zurueck wir in das Anwendungsgebiet Allgemeine Datenverarbeitung. Mechanik, Elektronik, Microcomputer. Erst seit Beginn der achtziger Jahre gibt es Tischcomputer, bzw. Personal Computer. Nur der Fortschritt hat Bestand, wie soll es da zur Verkrustung in der Organisationsstruktur der Datenverarbeitung kommen? Es wurde ausser Acht gelassen, dass eine Dokumentation der Entwicklungen im und am Computer zum Einen notwendig ist (dies unterblieb bis Mitte der achtziger Jahre in der Regel), zum Anderen wird auch heutzutage kaum dokumentiert, was nicht! veraendert wurde. Welche Strukturen beibehalten wurden, als auch wielange und warum sie beibehalten wurden, muessen diejenigen, welche solche Fragen stellen, muehsam aus den, falls ueberhaupt vorhandenen Anpassungs- und Veraenderungsdokumentationen herausfiltern. Zur Zeit stellen viele mittlere Unternehmen ihre bisher ueber Dienstleistungs-Rechenzentren laufenden Verwaltungsakte auf betriebseigene EDV-Anlagen um. Grob gesagt boten die Rechenzentren anfangs ihre Dienste allgemein an, spezialisierten sich dann auf Branchen, um letzlich den Forderungen nach betriebsspezifischen Anpassungen immer weniger nachkommen zu koennen. Der modern orientierte Mittelstandsbetrieb trifft auf die Alternative, zwischen Branchensoftware mit Wartungs- und Anpassungsvertrag oder einer mehr oder weniger selbstgestrickten PC-Loesung entscheiden zu muessen. Mit Einfuehrung der Integrierten Softwarepakete nahm die Zahl derer zu, denen die Verbindung von fertigen Bauteilen und eigener Programmdurchfuehrung gelegen kommt. Nun war der Punkt erreicht, dass nicht betriebsweltfremde Programmierer vorgegeben bekamen, was sie umsetzen sollen, sondern sachgebietsorientierte Fachleute werden angelernt, um PC-Loesungen zu realisieren. Umstellungen auf betriebseigene PC-Loesungen werden durchgefuehrt. Auf den ersten Blick sieht es nach anwenderorientierten Vorgehensweisen aus. Die teilweise jahrzehntelange Erfahrung der Betroffenen mit den herkoemmlichen Verwaltungsstrukturen und Aetechniken fliesst in den neuen, edv-bezogenen Ansatz mit ein, als auch versucht wird, die neue computerorientierte Umgebung auszureizen. In jeder Evolution gibt es auch Sackgassen. Augenblicklich glaubt man eine Nische gefunden zu haben. Nische in dem Sinne, dass die Anwender als eine eigene Specie in der Computerwelt erkannt worden sind. Sie, die Anwender, duerfen inzwischen Laien sein. Macrorecorder, Menueoberflaechen und Benutzerfreundlichkeit sind einige der Zauberworte, mit denen der naechste Generationsschritt fuer die Anwender erkennbar wird. Aus der Sicht der einzelnen Verwaltungskraft verschwindet die Quintessenz ihrer Berufserfahrungen auf Nimmerwiedersehen im Computer. Am freundlich-funktionell gestalteten Arbeitsplatz, gefuehrt von einer unaufdringlich-zwingenden Menueoberflaeche, gleiten sie ablaufgesteuerte Slalomstrecken entlang zum Ziel. Nach einem Jahr und etwa fuenfzig Programmveraenderungen (diese Zahl ist denkbar niedrig) kann die durchschnittliche Verwaltungskraft ueberhaupt keinen Durchblick mehr haben, ob und was veraendert oder belassen wurde. Zu glauben, dass sei ja auch egal, denn dies laege in den Haenden der Organisationsspezialisten, laesst die Frage unberuecksichtigt, wieso der Informationspool Mitarbeiterschaft bei der Umstellung so ausgefragt werden musste und nun bei Veraenderungen ploetzlich nicht mehr relevant sei. Ob ein Unternehmer sich nach der Meinung seiner Mitarbeiter entscheidet oder nicht, hat ihn frueher nicht abgehalten, eben diese Meinungen einzuholen. Aber, und das ist der springende Punkt, die sogenannten "Unteren Raenge" sind am PC zur Meinungsbildung ueberhaupt nicht mehr faehig. Der Ausdruck Personal Computer wird zur Farce. Das Auseinanderklaffen von Abstraktionsgrad und Einsichtsfaehigkeit sollte die Aufmerksamkeit auf Veraenderungen richten. Die ausfuehrenden Mitarbeiter fragen fuer sie erkennbare Veraenderungen ab. Selten stellen dieselben Mitarbeiter die Frage, warum es mit diesem oder jenem noch beim Alten sei. Im zunehmenden Masse gibt es Anwender, die hoechstens Veraenderungen in den Strukturen der Programme erkennen und Stagnationen nicht wahrzunehmen wissen. Die schnelle Veraenderlichkeit der Software-Anwendungen verfuehrt zu der Annahme, dass alles im Fluss sei, waehrend weit unter der Benutzeroberflaeche immer mehr stagniert. Das Medium Computer, die benutzte Software, sie fuehren zu einer beschleunigten und leichter unerkannt bleibenden Verkrustung der Strukturen, bewirkt durch: Zunehmende Spezialisierung, Austauschbarkeit der End-Anwender und der Unvermoegen der Mitsprache und Abhaengigkeit der Betriebsspezialisten von den Softwareproduzenten. In vielen Betrieben bricht die muehsam aufgebaute vertikale Kooperationsstruktur mit Einfuehrung der EDV wieder zusammen. Dies entzieht sich dem Verstaendnis vieler Beteiligter. Die Einfuehrung von Makrosprachen kann, trotz aller Vorteile, getrost als Meilenstein in der Entfremdung zwischen anweisenden Spezialisten und ausfuehrenden Mitarbeitern angesehen werden. Ablaufmakros einzusetzen bedeutet, eine Aufzeichnung von Befehlsschritten, Benutzerabfragen, usw. vorzunehmen. Die aufgezeichneten Makrobefehle sind wiederum verknuepfbar. Derart ausgestattete Anwenderprogramme schliessen die Luecke zwischen Programmierer und Anwender, bilden einen Kompromiss zwischen Branchenloesung und Betriebsanspruch. Die Gefahr, Organisationsstrukturen an Koennen und Wollen der Betroffenen vorbei zu organisieren tritt eher ungewollt ein. Krass gesagt ist das Wollen weniger ausschlaggebend. Aber dem Koennen entsprechend zuwider kann nur ein Unternehmen arbeiten, dass die Belegschaft anlernen oder langfristig austauschen will. Der Verzicht auf den Informationspool Mitarbeiterschaft wird beizeiten zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen fuehren, wie: Rueckgang qualifizierter Rueckmeldungen, anhaltende Fehlinterpretationen, Desinteresse an nahezu vollstaendig undurchsichtigen Arbeitsvorgaengen und langweilige Musse aufgrund fehlender Handlungsspielraeume. Wie kann es weitergehen, wie soll die Mitarbeiterschaft wieder in vollem Umfang in den Meinungsbildungs- und Rueckmeldungsprozess einbezogen werden? Jeder Anwender integrierter Softwarepakete im Verwaltungsbereich hat die Moeglichkeit, die Anpassung des Rahmenprogrammes selbst ausfuehrlich zu dokumentieren. Leider geschieht dies zur Zeit ausgesprochen selten. Die Mitarbeiter, denen die Integrierten Softwarepakete buchstaeblich vorgesetzt werden, stehen offensichtlich unter dem Eindruck, kein Halbfertigprodukt, sondern Verbrauchsmaterial erworben zu haben! Aus den vorhandenen Mitteln heraus der Ansatz, die Dokumentation der EDV-Loesungen aus ihrem derzeitig ueblichen Status der Geheimen Verschlusssache zu entlassen. Dies wuerde die Mitarbeiterschaft zumindest erkennen lassen, mit welchem Tempo die Anwendungen selbst im fuer sie Verborgenen geaendert werden. Betrachten wir ein brisantes Beispiel. Die Programme, die von den zwei grossen Verteidigungsbuendnissen benutzt werden, sind ihrer Herkunft nach Ende der fuenfziger Jahre angelegt worden. Seitdem wurden diese Programme nie wieder grundsaetzlich erneuert, sondern modulweise ergaenzt. Es mutet grotesk an, aber eine ausfuehrliche, zwingend vorgeschriebene Dokumentation wird erst seit Anfang der achtziger Jahre durchgefuehrt. Wie beunruhigend dieser Umstand ist, zeigt die Praxis bei auftretenden Fehlern. Fehlerhafte Programmteile sind in der Mehrzahl noch nicht dokumentiert, es werden nur genau jene Befehle ueberbrueckt, denen die Fehlerursache angelastet wird. Das ist jedoch ein stark bezweifelbares Vorgehen. Undokumentierte Programme, das heisst schliesslich, es gibt keine Klarheit, was die Ueberbrueckung selbst wiederum im Gesamtprogramm bewirkt. Anschauliche Dokumentationen sind kein Luxus mehr. In Amerika gibt es zwei grosse Projekte, die die Forderung nach Software-Transparenz konzeptionell weiterverfolgen. Auf der Basis des Betriebssystems UNIX geschriebene Programme werden mit Quellcode ausgeliefert. Ein Freeware-Unix-System ist fuer Mitte 1990 angekuendigt - mit dokumentiertem Quellcode. Die Beteiligten, eine Universitaet und eine private Entwicklergruppe, vertreten die Ansicht, ein Programm oder Betriebssystem ohne Quellcode zu verbreiten sei eine ebenso antisoziale wie auf Dauer unwirtschaftliche Vorgehensweise. Von hier ist der Schritt zur Anpassungsdokumentation nicht mehr so utopisch gross. Entwickler, Unternehmer, Anwender und sonstige Betroffene richten, wenn ueberhaupt, ihre Aufmerksamkeit auf die Veraenderlichkeit der Software, dokumentieren in den optimaleren Faellen jegliche Kreation und Modifikation. Aber, das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, und das Gegebene ist mehr als der Ursprung plus der Veraenderungen. Eine zukunftsorientierte Forderung geht somit an die Substanz unserer augenblicklichen Verhaltensweisen, bzw. Marktrichtlinien: Ich stelle mir Programme vor, von denen ich ohne Vorbehalte oder Einschraenkungen den Quell-, bzw. Sourcecode mitbekomme, wenn ich das Compilat kaufe. Darueber hinaus eine Quellcodes, sowie Makro- und Menueverwaltung, die mir auf Knopfdruck zeigt, was seit einem bestimmbaren Zeitpunkt unveraendert geblieben ist, bzw veraendert wurde. Salopp gesagt sollten die Anwenderprogramme ihre eigene Struktur verwalten koennen. Solange sie es nicht koennen, ist eine Anpassungsdokumentation erst recht eine Pflichtaufgabe der Kooperation zwischen Laien und Experten. Im informationsverarbeitenden Bereich wird das Augenmerk allmaehlich von der Hardware-Entwicklung auf die Software-Entwicklung gerichtet. Bei allen Com-, Trans- und sonstigen Aeputern scheint keine wesentliche Veraenderung der prinzipiellen wirtschaftlichen Input-Output-Logik in absehbarer Zeit moeglich. Die derzeitige Entwicklung der Hardware naehert sich den physikalischen Grenzen. Holographische Arbeitsspeicher stehen im Labortest, optische Speicherplatten sind schon am Markt. Die informationsverarbeitende Maschine zu verfeinern ist die eine Seite. Die andere Seite ist die informationelle Stagnation, von der wir durch die naehere Wesensverwandtschaft menschlich staerker betroffen sind. Der informationelle Prozess auf Softwareebene ist uns Menschen strukturell naeher. Die sich anbahnende Verkrustung der informationellen Strukturen wird auf Dauer als ein wirtschaftliches Problem angegangen werden. Autor: Horst Willenberg E-Mail: h.willenberg@bionic.zer.de ------------------------------------------------------------------------------ |
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